Jochen Weber - Fotografie |  Fotoreportage
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Cago - Auf der Suche nach Freiheit
Ein Tag im Leben eines brasilianischen Diamantenschürfers – eine Fotoreportage


Ein kleiner Sprung zurück in eine scheinbar vergangene, archaische Zeit. Oder:
Was ein Mensch auf sich nimmt, um seine persönliche Freiheit zu finden.





Cago




Als ich kürzlich in der brasilianischen Chapada Diamantina war, habe ich mich gefragt, ob es heute noch Menschen gibt, die vom Diamantenschürfen leben und was sie wirklich antreibt. Über einen Bekannten konnte ich den Diamentenschürfer Cago ausfindig machen und wir haben uns an seiner aktuellen Schürfstelle verabredet: Im Moment sucht er am Rio Capivari, ca. 15 km von der Stadt Lençois entfernt, dem Eingangstor in die „Chapada“. Seit 10 Tagen schuftet Cago jeden Tag vergeblich: keinen einzigen Diamanten konnte er in dieser Zeit finden. Wird er heute endlich fündig?




Als er sich für diese Stelle am Fluss entschieden hatte, musste er zuerst einen kleinen Staudamm bauen, ein wenig wie ein Biber. Er benötigt den Wasserabfluss des Staudamms, um das Geröll durchzuspülen. Es ist 8.30 Uhr morgens, der Himmel ist zwar noch bewölkt, aber schon drückt die trockene Hitze.

Cagos Tagesablauf ist einfach, aber strikt geregelt, seine Arbeitstage bestehen hauptsächlich aus Schaufeln: Er schaufelt die Schubkarre voll und spült den Inhalt dann durch den Rost, den er in den kleinen Staudamm eingebaut hat. Das höhere Gewicht der Diamanten läßt sie dort absinken und sie verfangen sich in den Querverstrebungen des Rosts. Sollte sich ein Diamant darunter befinden, findet er ihn auch! An einem Vormittag wiederholt er diesen Vorgang zwischen 25 und 30 Mal. Ab und zu trinkt er aus der hohlen Hand einen Schluck des Flusswassers: „Das ist absolut sauber und frisch.“




Seine kräftigen Oberarme verraten, dass er diese Arbeit nicht erst seit gestern macht. Cago arbeitete bis vor einem Jahr für eine Diamentenschürffirma mit Sondergenehmigung in der Nähe der Stadt Andaraí, für die er die großen Maschinen mit Steinen und Geröll fütterte. Für 15 Tage Arbeit bekam er dort einen Lohn in Höhe von 150,00 Reais (~ 59,00 €, Kurs 10/2012 = 1€ : 2,55 R$). Das ist weit weniger als der eigentliche gesetzliche Mindestlohn von 540,00 Reais pro Monat im Jahr 2011. „Das war eine schlecht bezahlte Schinderei, und ich dachte mir, das schaffe ich auch alleine! So habe ich dort gekündigt, um auf eigene Faust Diamanten zu schürfen“, erklärt er mir. Von seinem Vater habe er diesen Beruf gelernt und er meint weiter: "Ich habe nie etwas anderes gemacht, und ich kann auch gar nichts anderes. Mit Touristen zu arbeiten, wie es viele meiner früheren Kollegen heute tun, das kann und will ich auch gar nicht.“

Ein kleiner Diamant bringt ihm zwischen 25,00 und 50,00 Reais, je nach Größe und Qualität. Der größte Diamant, den er bisher fand, brachte ihm 800,00 Reais. Das Problem ist, dass die etwas größeren Diamanten in ca. 15 Metern Tiefe liegen, also nur mit Maschinen gefördert werden können. Wenn er drei Wochen lang an einer Stelle keinen Diamanten findet, zieht er weiter und sucht sich eine andere Stelle.

Es hat etwas von einem Glücksspiel, auch wenn es keines ist. Das Diamentenschürfen ist im Nationalpark Chapada Diamantina nur noch eingeschränkt möglich. Firmen können mit Maschinen nur noch mit Sondergenehmigungen in der Region um die Stadt Andaraí herum schürfen. Privatpersonen können für ein bestimmtes Gebiet eine Schürferlaubnis beantragen, wo sie dann manuell schürfen dürfen. Wechseln sie den Standort, müssen sie dafür einen neuen Antrag stellen. Dies wird kontrolliert, ist kompliziert und umständlich, die meisten halten sich deshalb nicht daran. Es gibt immer weniger Schürfer wie Cago, die versuchen, vom Diamantensuchen zu leben; die Mehrzahl macht dies als eine Art „Nebenjob“, meistens am Wochenende oder abends.





Das ehemalige Diamantenwäscherstädtchen Lençois liegt am Rande des Nationalparks Chapada Diamantina, 425 Kilometer von Salvador de Bahia entfernt. Als 1844 im Rio Mucujé Diamanten gefunden wurden, strömte eine Mischung aus Schürfern, Abenteurern und Banditen aus ganz Brasilien dorthin, um ihr Glück zu suchen. Die Schürfer, Brasilianer nennen sie garimpeiros, lebten in Zelten, die wie zum Trocknen aufgehängte Leintücher aussahen – daher stammt der Name Lençois, das portugiesische Wort für Leintuch.




Lençois
Lençois





Der Diamantenrausch machte Lençois zu einer reichen Stadt. Ende des 19. Jahrhunderts aber wurden die Diamantenfunde spärlicher. Da in dieser Zeit auch Diamantvorkommen in Südafrika gefunden wurden, sank zudem der Wert der Diamanten auf dem Weltmarkt. Als die Brasilianer 1888 außerdem die Sklaverei abschafften, erlebte der brasilianische Diamantenboom zu Beginn des 20.Jh. seinen Niedergang. 





                             Ehemaliger Sklavenmarkt in Lençois
Heute ist Lençois ein schönes Städtchen mit ca. 10.000 Einwohnern, das sich architektonisch wenig verändert hat.

Die Chapada Diamantina wurde 1985 zum Nationalpark erklärt und Lençois setzt seitdem auf den Tourismus. Aber trotz der anwachsenden Zahl der Touristen, die jedes Jahr die Gegend besuchen, hat sich die Stadt ihren kolonialen Charakter bis heute bewahrt.

Lençois dient als Ausgangspunkt für den Besuch der Tafelberge, Canyons, Wasserfälle und Höhlen, sowie der Flora und Fauna des wunderschönen Nationalparks.










Poço Azul, Chapada Diamantina





Kurz vor der Mittagspause um ca. 12.00 Uhr beginnt Cago dann, den Rost abzubauen.

Danach siebt er das Geröll, das sich im Rost abgesetzt hat, durch. Das ist jedes Mal ein spannender Moment, entscheidet sich doch, ob sich die Stunden der Plackerei in großer Hitze gelohnt haben oder nicht.

Er legt dafür mehrere Siebe mit verschiedenen Siebgrößen übereinander, das gröbste Sieb oben, das feinmaschigste unten.

Jede Lage wird vorsichtig gespült, gedreht und dann sehr genau kontrolliert.











Leider wieder nichts! Aber man merkt ihm keinen Frust an, es ist eben einfach ein Teil des Geschäfts. Nach dem ersten Siebvorgang des Tages geht es dann zur Mittagspause zu seinem Haus, ungefähr 10 Gehminuten entfernt. Die Hitze ist mittlerweile stechend, es dürften ca. 40° C. sein. Cago arbeitete bisher barfuß und er läuft auch barfuß nach Hause. Dort verstehe ich dann: er besitzt gar keine Schuhe!

Sein kleines, bescheidenes Haus hat er zusammen mit einem erfahrenen Garimpeiro-Kollegen gebaut, der ihm dabei sehr geholfen habe. Es gibt ihn noch, den Zusammenhalt.


















               Das Fleisch wird über dem offenen Feuer geräuchert

















Es gibt keinen Strom, also auch kein Licht und keinen Kühlschrank, gekocht wird über dem offenen Feuer – so traditionell wie seine Schürfmethode! Das Mittagessen ist typisch brasilianisch, bietet wenig Abwechslung, ist aber für die einfachen Kochverhältnisse sehr schmackhaft: Reis, Bohnen im Knoblauchsud, Fleisch, dazu zwei Tomatenscheiben und zwei Zwiebelringe, das Öl ist leider ausgegangen. Dazu frisches Leitungswasser und nach dem Essen gibt es noch einen gefilterten, erstaunlich guten cafezinho, sogar mit etwas Zucker. Noch eine kleine Pause mit einem Schwatz (bate-papo) im Schatten, ein Nachbar ist noch kurz auf dem Nachhauseweg vorbei gekommen und setzt sich zu uns.








© Text und Fotos: Jochen Weber
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