Jochen Weber - Fotografie |  Fotoreportage
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Im Rausch der Sinne
Brasilianischer Karneval im "Sambadrom" von São Paulo - eine Fotoreportage


Über den Wettbewerb zwischen den Sambaschulen aus São Paulo. In dem speziell
dafür erbauten Sambadrom treten die verschiedenen Schulen gegeneinander an.














Es ist für die meisten eine Frage der Ehre, für manche sogar ein Traum und eine Erfüllung, bei der Sambaschule ihres Stadtteils mitzulaufen, in einem Kostüm ('fantasia') mitzutanzen. Viele der Teilnehmer fiebern diesem Event das ganze Jahr über entgegen. Jede Schule wählt jedes Jahr ein neues Thema und setzt dies entsprechend den Möglichkeiten um: die riesigen Festwagen werden dekoriert, der Samba getextet und komponiert, die Kostüme nach Unterthemen abgestimmt, entworfen, gebaut und genäht. Das Zusammenspiel von Tausenden Teilnehmern wird dann zusammengefügt und geübt: Tanz und Rhythmus, Choreographie, Präsentation etc. Die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben hart gearbeitet, um sich eines der meist prächtigen Kostüme leisten zu können. 


















Die größeren Stadtteile in São Paulo haben ihre Sambaschulen, die an Karneval also im Sambódromo zusammen feiern - aber auch im fairen Wettstreit gegeneinander antreten: hinter dem Riesenspektakel steckt auch ein harter Wettbewerb unter den Sambaschulen: Die Auftritte der Schulen werden von Juroren bewertet, es zählen dabei die Musik, die Kostüme, die Texte, die Choreographie und die Qualität der künstlerischen Umsetzung des Themas sowie die Geschlossenheit des Auftritts der Schule insgesamt.

Auch die Zeit darf weder unter-, noch überschritten werden. Ein "Durchlauf" einer Sambaschule über die 530 Meter lange Laufbahn ('pista')  dauert in São Paulo eine Stunde. Bis zu 4.000 stolze, fröhliche und teilweise entrückte Teilnehmer dieser Stadtteile tanzen, singen und feiern zu dröhnenden und ununterbrochen fordernden Trommel- und Samba-Rythmen - die ganze Nacht hindurch, es ist ein einziger Rausch der Sinne, Farben und Klänge - und dies insgesamt drei Nächte lang.























Der Karneval in São Paulo beginnt am Freitag vor Aschermittwoch und bis Sonntag treten die Sambaschulen im Sambadrom gegeneinander an. Im Wettbewerb der Sambaschulen werden zwei Titel verliehen: in der Grupo Especial das Escolas de Samba und Grupo Especial das Escolas de Samba Desportivas. Der zweite Preis bezieht sich auf die Verbindung von Sambaschule und Fußballverein; so ist z.B. die Sambaschule Mancha Verde mit dem Club Palmeiras und Gaviões da Fiel mit dem Club Corinthians verbunden. 




































Heute gibt es ca. 200 Sambaschulen in São Paulo! Die größten sind Nenê de Vila Matilde, Vai-Vai, Camisa Verde e Branco, Unidos do Peruche, Mocidade Alegre und Rosas de Ouro. Auf den Tribünen des von Oscar Niemeyer geplanten 'sambódromos' haben ca. 30.000 Zuschauer Platz. Die Paraden beginnen in der 530 Meter langen Arena jeweils um 22 Uhr und dauern pro Festnacht etwa 9 bis 10 Stunden. Am Aschermittwoch findet die Punkteauszählung statt, die Siegesfeier wird im Fernsehen live übertragen und mit Feuerwerk und Freudenfesten der siegreichen Schule opulent gefeiert.











































Es ist wie bei jeder guten Party: die Zeit verfliegt, ohne sich bemerkbar zu machen; die ständig wechselnden, tausendfachen Eindrücke der Figuren,  Farben und Themen, all der Menschen, der Rhythmen und Gesänge lassen die Nacht schrumpfen zu einem einzigen, kurzen Moment der grenzenlosen, ansteckenden Feierlaune und plötzlich wird es hell, als ob der Tag die Feier stören wollte - doch das Fest geht einfach weiter, in den Tag hinein, keiner lässt sich aufhalten.


Aber hinter all dem Spaß und der Freizügigkeit, aber auch hinter dem Wettstreit der Schulen steckt noch viel mehr als reine brasilianische Feierlaune. Dies wird deutlich, wenn man die Alten und Behinderten sieht, wie sie ebenso inbrünstig mitlaufen, tanzen oder gar geschoben werden: die totale, sinnstiftende Identifikation mit ihrem Stadtteil, der Musik, ihren Freunden und lebenslangen Kumpanen. Die Sambaschulen erfüllen auf ihre Weise eine historisch gewachsene, wichtige soziale, kulturelle, aber auch ökonomische Rolle - in ihren Stadtteilen, in ihrer Stadt, im ganzen Land. 











































































Aber irgendwann am nächsten Tag ist der Zauber dann doch zu Ende. Draußen, auf dem Nachhauseweg vermischt sich auf einmal alles
, Publikum und Tänzer, Eindrücke und Stimmungen; Zulu & Massai geben sich ein Stelldichein. Noch ein letztes Bier mit Fleischspieß? Oder doch lieber gleich ein Marmeladebrot mit Kaffee? Weiter feiern, singen und tanzen, oder doch lieber schlafen gehen? Halbnackte Frauen posieren selbst morgens um 8 noch auf der Straße ... ach, auch schon egal ... eine Nacht wie im Rausch ... wie in einer anderen Welt!



























 





















Das leere 'Sambódromo' in São Paulo, vom Hubschrauber aus gesehen










Copyright für Text und Fotos: Jochen Weber
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