Jochen Weber - Fotografie |  Fotoreportage
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Pushkar Mela
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Kurz vor dem 'Camel Decoration-Wettbewerb'







Da so eine Messewoche für alle Beteiligten sehr lang werden kann, gibt es zusätzlich noch eine Vielzahl von den Organisatoren der Messe durchgeführte, mehr oder weniger unterhaltsame Veranstaltungen. Im großen, halboffenen Stadion von Pushkar, das zwischen dem Camp Ground und der Stadt liegt, werden über die gesamte Woche verteilt verschiedene Spiele zwischen Mannschaften aus Einheimischen (‚locals‘) gegen zufällig zusammen gewürfelte Mannschaften aus Touristen (‚visitors‘) organisiert.

So z.B. das "Satolia Match", eine Art traditioneller indischer Brennball; oder der ebenso traditionelle "Langari Taang-Wettbewerb", ein Einbein-Hüpfrennen, bei dem den Teilnehmern ein Bein hochgebunden wird, wie bei einem Kamel, das nicht weglaufen soll; oder das "Kabbadi Match", ein etwas seltsames Spiel zwischen Wrestling und Fange (vielleicht habe ich es auch nicht ganz verstanden!); oder der "Matka Phod-Wettbewerb", bei dem die Spieler mit Hilfe einer menschlichen Pyramide einen hoch hängenden Kürbis zerschlagen müssen; oder einfach nur ein anstrengendes Fußball-Match im Sand.

Aber auch sehr professionelle Wettbewerbe wie das Kamelrennen ('camel race'), der Kamel-Schönheitswettbewerb ('camel decoration'), der Kamel-Tanz-Wettbewerb ('camel dance competition') oder die beiden Turban Binden- ('turban tying') und Schnurrbart-Wettbewerbe ('moustache competition') werden angeboten, ebenso wie eine Tanzveranstaltung ('group dance') mit unzähligen hübschen Schulmädchen, oder Deepdan, das Lichterfest am See, oder der Kathak-Tempeltanz ('temple dance') in einem der über 400 Tempel(!) der kleinen Stadt.



                 Finale des 'Camel Decoration-Wettbewerbs' 


                  Schülerinnen kurz vor ihrer Tanzveranstaltung 'group dance'










Die Heißluftballons erfreuen sich größter Beliebtheit, ...  










... sie sind ständig in der Luft.             

          Übungseinheiten für den 'Camel Dance-Wettbewerb' 
           
        Das Kamel tanzt zu den lauten, harten, aber rhythmischen
      Trommelschlägen,
die man dem kleinen Jungen
      hinter dem Kamel gar nicht zutraut.











Deepdan, das Lichterfest am heiligen Pushkar-See










Porträt eines Kamelhändlers        







        Früher hätte man sie wohl als "knuffig" bezeichnet









Nachdem ich im Stadion von Pushkar vergeblich auf das für heute 11 Uhr angekündigte, aber dann kurzfristig auf den letzten Messetag verschobene Kamelrennen gewartet habe, dafür aber dem Training für den Kameltanz-Wettbewerb und dem völlig überlaufenen Camel Beauty Contestbeiwohnen konnte, setze ich meinen Messe-Rundgang fort. Unglaublich viele Kamele sind in der Zwischenzeit angekommen, die Händler und Züchter sitzen dazwischen mit ihren bunten Turbanen beim Palaver, lesen oder essen etwas, es ist eine unwirkliche, urzeitliche, aber schöne und sehr friedliche Atmosphäre. Die Kamele schauen mich mit ihren großen Augen neugierig an, vor der Kamera haben sie etwas Angst und wenn ich ihnen zu nahe komme, dann geben sie Zischlaute von sich, die ich sicherheitshalber mal als eine Art Warnung interpretiere. Die Farben der Turbane der Kamelhändler unterscheiden sich nach der Kaste, dem Beruf oder der Volksgruppe des Trägers, einige Muster und Farben sind aber auch von der Jahreszeit oder vom jeweiligen Anlass abhängig. So kommt z.B. bei Beerdigungen ein weißer Turban zum Einsatz, bei Kondolenzbesuchen eher ein dunkelblauer oder brauner. Auch heute noch gilt es als Sakrileg, einen zum Anlass unpassenden Turban zu tragen.  


           Unglaublich viele Kamele sind angekommen





Die Farben der Turbane der Kamelhändler unterscheiden sich nach ...         

       ... der Kaste, dem Beruf, dem Anlass oder der Volksgruppe des Trägers







Einige Turban-Muster und -Farben sind auch von der Jahreszeit abhängig









"Unter Kamelen"











"Teestube" (chai wallah)            






Bei einem – völlig überzuckerten – chai (einen Engländer habe ich neulich sagen hören: „Could I please get a little bit of tee to my sugar?“) an einer der Zeltbuden kann ich mich auf Englisch ein wenig mit einem sehr freundlichen, einheimischen Viehfutterverkäufer unterhalten. Er meint, die Pushkar Camel Fair sei zwar noch die größte Kamelmesse der Welt, aber sie würde immer kleiner werden und an Bedeutung verlieren. Jedes Jahr kämen weniger Käufer, das Geschäft gehe in den letzten Jahren deutlich zurück. Motorbetriebene Fahrzeuge würden immer mehr das Kamel als Lasttier und Transportmittel ablösen – und das im Jahr 2013! Als Kaufgrund für Kamele würde nun immer mehr das Fleisch der Tiere in den Vordergrund rücken! Das finde ich furchtbar, habe ich die Tiere inzwischen besser kennen und auch schon richtig schätzen gelernt! Im Grunde sind sie sehr friedlich, natürlich ziemlich verfressen, neugierig, eigensinnig, aber auch sehr vorsichtig im Umgang miteinander und auch mit den Menschen, ja sie sind sogar sensibel und verschmust; kurz, früher hätte man sie wohl als "knuffig" bezeichnet! Ach ja, anbinden und rumziehen lassen sie sich nicht so gerne, da können sie auch mal richtig widerspenstig und sauer werden. (s. auch den Lin k zu einer kurzen Hörprobe unter dem Bild links.) 

Dieses lässt sich nicht gerne rumziehen und fesseln - wer tut das schon?           

Hörprobe "Wütendes Kamel" (mp3-file)      

             Kamele können auch ziemlich verschmust sein 






Wer sich übrigens beim Betrachten der Fotos schon gefragt hat, ob das nicht alles eigentlich Dromedare seien, der hat recht! Die mit einem Höcker sind eigentlich Dromedare - als solche sind sie aber auch Kamele! Sie gehören innerhalb der Familie der Kamele zur Unterordnung der Schwielensohler – wie man gut auf dem Foto hier sehen kann. Diese Familie unterteilt sich in zwei Gattungen: die erste bilden die Altweltkamele mit dem Einhöckrigen Kamel oder Dromedar und dem Zweihöckrigen Kamel oder Trampeltier; die zweite Gattung bilden die Neuweltkamele mit den Lamas und den Vikunjas.  




Ein in seiner Nachtruhe gestörter Schwielensohler










Der Camp Ground hat einen eigenen "Mutter-Kind-Bereich"












Das Camp ist mit verschiedenen Tränken ausgestattet










An der Tränke        



Ab und zu müssen die Kamele zur Tränke geführt werden. Das kann ein recht lustiges Schauspiel werden. Wenn viele Kamele an einer Tränke zusammen kommen, können sie auch richtig Spaß machen und haben. Da Kamele schon immer trockene Regionen bewohnen, haben sie einen besonders guten Wasserhaushalt entwickelt. Eine Besonderheit sind die roten Blutkörperchen, die nicht rund, sondern oval sind. Diese Form bewirkt, dass Kamele in kürzester Zeit sehr viel Wasser aufnehmen können - bis zu 200 Liter in 15 Minuten - ohne die Gefahr einer "Überwässerung" (med.: Wasserintoxikation).

Besondere Nieren sorgen für eine sehr hohe Konzentration des Urins, auch der Kot ist im Vergleich zu anderen Säugetieren sehr trocken. Deshalb eignet er sich auch gut als Brennmaterial. Er muss nur eingesammelt, in der Sonne komplett getrocknet und kann dann wieder für ein paar Rupies verkauft werden. Ein einfaches, aber gern genutztes Geschäftsmodell, Rohmaterial produzieren die vielen Kamele genug.




Kamelspaß an der Tränke      
(hier lohnt sich die vergrößerte Ansicht!)      

            An der Leine










Kameldungsammlerin












Camp Ground: Kameldung als Brennmaterial









"Hello money!" 'Uhh, meint die mich? Wäre ja auch ein interessanter Name', denke ich mir und schaue nach unten: ein etwa 9-10-jähiges Mädchen zupft mich am Ärmel und schaut mich mit ihren hübschen großen Augen und einem schlecht einstudierten Leidensblick an und hält ihre kleine Hand auf. "Give money, hundrrt rrupees!" Inzwischen, nach etwa fünf Monaten in Indien, bin ich in solchen Situationen bereits geübt, entsprechend gut vorbereitet und weiß, was ich sagen muss: "Mere pas kam paise hai, maaf kijeeye", was übersetzt heißt: "Ich habe nur wenig Geld dabei, es tut mir leid". Das funktioniert und sie dreht ab; übrigens funktioniert das auch bei Erwachsenen, ist es doch eine klar verständliche, aber dennoch respektvolle Absage. Diese Kinder werden von ihren Eltern zum Betteln geschickt und besonders gerne auf Touristen "angesetzt"; Betteln kann ein Beruf sein, es ist nichts ehrenrühriges, sondern anstrengende Arbeit! Oder aber es geschieht aus wirklicher Not, Altersarmut, Gebrechen etc. Ich reagiere inzwischen sehr gelassen darauf. Wenn es erkennbar aus Not geschieht, gebe ich gerne ein paar Rupies. Man muss einfach die Relation sehen, die die Menschen in Indien natürlich auch verstehen. Für umgerechnet einen Euro kann man sich an den entsprechenden Buden schon satt essen! Und wer sich einen Flug nach Indien leisten kann, der kann einem doch ruhig mal fünfzig Cent oder einen Euro schenken, nicht!? 


Ab und zu bauen sich zwei bis drei junge, viel zu stark geschminkte Frauen vor mir auf, posieren übertrieben und maskenhaft lächelnd, vollführen theatralische Tanzbewegungen mit den Armen und möchten, natürlich gegen ein ordentliches Model-Salaire, fotografiert werden und fordern mich auf: "Make photo, Sir!"

Auch Kamelhändler, Sahris tragende Frauen oder kleine Kinder haben schon lange gelernt, wie scharf viele Touristen/Fotografen – aus Sicht dieser Menschen sind das Synonyme – auf Fotos sind. Und da alles ein Geben und Nehmen ist, wollen inzwischen praktisch alle Geld fürs Fotografiert werden: leicht verdiente Rupies! Das geht so weit, dass die Kamelhändler nun schon Geld verlangen, oft auch mit gehörigem Nachdruck, wenn man nur ihre Kamele fotografieren möchte.

Das geht dann doch ziemlich gegen unser Verständnis der künstlerischen Freiheit, des öffentlichen Raumes oder der Panoramafreiheit, aber auch gegen unser Verständnis des Reisens an sich: schließlich haben wir schon viel Geld bezahlt und Mühen auf uns genommen, um hierher zu kommen, jetzt wollen wir auch fotografieren dürfen. Es ist auf Dauer wirklich sehr anstrengend - ganz sicher gilt dies für beide Seiten - und auch nicht leicht, damit umzugehen, und es wird auch immer 'schlimmer'.

Es stimmt mich aber auch nachdenklich über meine eigene Rolle in dem Stück und über den Sinn und Unsinn des Fotografierens. Wer möchte schon eine Wirklichkeit fotografieren, die er selbst, wenn auch nicht willentlich, durch sein Tun und seine Anwesenheit bis zur Unkenntlichkeit mitverformt hat? Dabei fällt mir ein Satz ein aus dem Buch 'Der Sadhu an der Teufelswand' des Schriftstellers Ilija Trojanow: "Und eines Tages wird die Welt nur noch aus Fotografierenden und Fotografierten bestehen." Hoffentlich verkaufe ich meine Kamera vorher. 




          Manche Kamelhändler sind vor der Kamera schon richtige Profis
         









Diesem Foto ging eine kleine, "non-verbale Verhandlung" mit Hilfe von Gesten voraus: Fotografieren OK, aber nur gegen Bares. Kosten dieses Fotos:
50 Rupies (für die drei 'Models' zusammen). Das zufriedene Lächeln zeigte mir, dass die Bezahlung als ausreichend betrachtet wurde.
 







Dazu fällt mir noch eine kleine Episode von heute Morgen ein. Kurz nach Sonnenaufgang, es war sehr diesig, stieß ich direkt auf eine perfekt ausgestattete asiatische Fotogruppe und dachte: 'Was haben die denn da im Visier?' und schaue in 'Zielrichtung'. Ein junger Kamelhändler (im roten Polo-Shirt) hatte noch geschlafen und wurde durch die Gruppe geweckt. Er stand ziemlich irritiert auf, schimpfte und fuchtelte - unmissverständlich - mit der Hand in der Luft. Dann stieg er in seine Latschen, drehte sich genervt um, und setzte sich ostentativ mit dem Rücken zur Gruppe. Die Fotogruppe fotografierte munter weiter.



        


        






Weiter am Rand des Camel Camps sehe ich die ersten bereits verkauften Kamelherden, die wieder in Richtung Wüste abziehen und zum Teil ordentlich Staub aufwirbeln. Es ist dabei schön zu beobachten, wie die Herde dem Leittier hinterherläuft. So genügen zwischen 1-3 Kameltreiber, je nach Größe der Herde, um sie zu steuern. An einer Herde bin ich nah genug dran, um zu erkennen, dass die Tiere froh sind, wieder laufen zu können – daran haben sie sichtlich Freude.




Die Herde folgt dem Leittier - so ist sie leicht zu steuern











Die Kamele haben sichtlich Freude daran, wieder laufen zu dürfen










Verkaufte Herden ziehen schon wieder ab






Für das Abendessen werden Rotis (Fladenbrote) gewalgt und gebacken








Schöne Atmosphäre im Camp rund um den Sonnenuntergang      

Mit dem Beginn der Dämmerung beginnt die schönste Stimmung im Camp, wenn die Sonne sich zurückzieht, wieder Feuer gemacht wird und die Leute sich drum herum hocken. Die Lichter im Camp gehen an, eine gemütliche Geschäftigkeit aus Wasser holen und warm machen und Rotis (Fladenbrot) walgen und backen beginnt, es ist eben ein riesiges Zeltlager.

Die Touristen haben sich größtenteils in ihre Hotels und Zeltlager zurückgezogen, die Kamelkäufer sind für heute auch verschwunden, nur ein paar Fotografen ziehen wie ich noch emsig umher. Es lässt sich nun wunderbar fotografieren, meine tolle Nikon - eine D3S, unter Fotografen wird sie wegen ihrer hohen ISO-Möglichkeiten auch liebevoll 'Lord of Darkness' genannt - läuft jetzt zur Höchstform auf und das Licht und die einzigartige Szenerie geben mir nochmals eine Portion Energie. Die Leute sind jetzt etwas abgekämpft, aber sehr freundlich, lachen, scherzen, erzählen Geschichten, lächeln jetzt mehr als vorher; alle sind wir des Feilschens müde.







Camel sunset








Abends gehen die Lichter wieder an ...









"Camel Palaver"








Szenen wie aus ...    






         ... einer anderen Zeit








Als es zu dann endgültig zu dunkel wird zum sinnvollen Fotografieren, mache auch ich mich auf den Rückweg in Richtung Unterkunft, an der Tränke sehe ich noch ein schönes Motiv. Was freue ich mich nun auf ein kühles Kingfisher-Bier und ein Palak-Paneer mit Garlic-Cheese-Naan, oder so ...! Natürlich werde ich am Rand des Camps wieder vom Sohn des Tand-Händlers erwischt. Als ob er den ganzen Tag nur auf mich gewartet und nie Feierabend hätte!

Seine Hartnäckigkeit und Ausdauer aber sind aber anerkennens-, ja bewundernswert. "Hello Sir, you rremembr me? You prromisd me to …", ich unterbreche ihn und mache ihm irgendwie klar, dass ich nun müde bin, hungrig und sehr durstig nach all dem Staub und Kameldungrauchgeschwader und nun schnurstracks nach Hause laufen möchte: "May be tomorrow, OK?" "OK, Sir…", ein Lächeln erscheint in seinem Gesicht, "… may be tomorrow, Sir! You promise!?"




          Nochmals an der Tränke vorbei










Das letzte Foto, heute







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End
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© Text und Fotos: Jochen Weber
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