Jochen Weber - Fotografie |  Fotoreportage
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Magnum Photo - Workshop in Goa
Ein Erfahrungsbericht





Kirche der Unbefleckten Empfängnis unserer Lieben Frau, Panjim – GoaPhoto 2015






Vom 25. Februar bis zum 7. März 2015 fand in Panjim, der Hauptstadt des indischen Bundes-staats Goa, ein beachtliches fotografisches Glanzlicht statt. Mit der GoaPhoto 2015 organisierte die Stadt ihr erstes international kuratiertes Fotofestival. Motto und Titel der ersten Edition dieses Festivals zeitgenössischer Fotografie war "The Other", eine Sammlung ungewöhnlicher Porträtserien von zwanzig Fotografinnen und Fotografen aus der ganzen Welt.

Zu sehen waren die Fotos an acht verschiedenen Ausstellungsorten überall in der Stadt, und zwar innen und außen. Als das "Headline Event of GoaPhoto 2015" firmierte zusätzlich vom 25. bis zum 28. Februar der Magnum Photo-Workshop in der Goa State Central Library mit den beiden großartigen Magnum-Fotografen Richard Kalvar und Stuart Franklin.

Neben den verschiedenen Ausstellungen wurden Vorträge, Lesungen und Sonderausstellungen in Kunstgalerien angeboten, ebenso wie Meetings und Seminare mit Kuratoren und Fotografen. Das Fotofestival verwandelte die Stadt auf diese Weise für einen Zeitraum von zehn Tagen zu einem internationalen Dreh und Angelpunkt zeitgenössischer Fotografie.

Die Atmosphäre in der kleinen Stadt mit dem portugiesischkolonialen Flair in der Altstadt "Fontainhas" war wunderbar: Überall Ausstellungen und Eröffnungen, organisierte Veranstaltungen und zufällige Gespräche mit anderen Fotografen – und dazu das schöne Gefühl, an jeder Ecke  Gleichgesinnten aus Indien und vielen anderen Ländern mit ihren Spiegelreflexkameras zu begegnen!

Die kleinen, aber durchweg feinen Ausstellungen waren liebevoll installiert, die Auswahl durchdacht und anspruchsvoll.

Portugiesisch-koloniales Flair in der Altstadt „Fontainhas“                      


Ausstellng im Freien, Muscheln als Lampenschirme                              


       Viele Fotos wurden im Freien gezeigt. Der Druck auf den Plastikfolien war gut.

Patio im Sunaparanta Centre for the Arts, Altinho, Panjim                         







Fausto Giaccone: Eine wunderbare Ausstellung seiner Fotos über Gabriel Garcìa Marquez "Hundert Jahre Einsamkeit"











Für den Magnum Photo-Workshop musste man sich bewerben, ein bisschen wie auf eine neue Arbeitsstelle. Neben einer Beschreibung der eigenen fotografischen Erfahrung und der Erwartung an den Workshop mussten die Bewerber auch einen kurzen Lebenslauf sowie fünf Beispielfotos mit Titeln und Kurzbeschreibungen einsenden. Da ich zurzeit sowieso in Mumbai lebe, war eine Bewerbung sehr reizvoll für mich. Und über die legendäre Fotoagentur Magnum Photos, die 1947 von den vier Fotografen Robert Capa, Henri CartierBresson, David Seymour und George Rodger in Paris gegründet wurde, muss man ja nichts mehr schreiben. Berühmte Namen von Mitgliedern wie René Burri, Elliott Elwitt, Martin Parr oder Steve McCurry klingen immer mit.

So reichte ich meine Bewerbung ein, meine eingesandten Fotos stammten dabei aus meinem neuen Buch Reisefotografie erleben*. Die Freude war natürlich groß, als die Zusage per E-Mail eintraf: "Dear Jochen, Congratulations on being selected to participate in Magnum Photos workshop ...". Entsprechend hoch war dann auch die Erwartung, an den Workshop und natürlich an mich selbst.

Meine Arbeitsschwerpunkte sind die Reisefotografie, Fotoreportagen und Dokumentationen, auch halte ich einen eigenen kleinen Fotokurs für Anfänger. Für all das wollte ich dort mehr erfahren über das Storytelling mit Foto-Essays, um mich an diesem – und vielleicht auch noch weiteren Punkten – zu verbessern.

Denn Ziel des viertägigen Magnum-Workshops in Goa war es laut Ausschreibung, den Fotografen dabei zu unterstützen, seine bildhafte Erzählweise (visual narratives) weiterzuentwickeln, ganz in der MagnumTradition des dokumentarischen Geschichtenerzählens (documentary storytelling).

So passte alles gut zusammen: Der Workshop unter der Leitung der beiden erfahrenen Praktiker Richard Kalvar und  Stuart Franklin richtete sich an regionale und internationale Fotografen, und er endete mit einer öffentlichen Präsentation der Projektarbeiten der TeilnehmerInnen in Form von Foto-Stories mit jeweils zehn Fotos, das Ganze als Teil des offiziellen Programms des GoaPhoto-Festivals.

Zwei Klassen mit je zwölf Teilnehmern arbeiteten also unter Anleitung vier Tage lang über Themen aus Goa. Eine Liste mit Projekten schlug den
den Teilnehmern Themen vor, aus denen sie eines während des Workshops bearbeiten sollten. Hier nur ein paar Beispiele:

•    Portugiesisches Erbe in Goa
•    Goa und seine Künstler
•    Goas Kirchen  Exzentrische Geschichte, Mythen und Mythologien
•    Die großen, alten Familien aus Goa und ihre Heimat
•    Goa – Das Essen und die einzigartige Mischung aus
       Aroma und Kultur

•    Die Musikkultur von Goa

Eines meiner Bewerbungsfotos aus meinem Buch "Reisefotografie erleben"        


Workshop-Atmosphäre mit Stuart Franklin (auf der Treppe)                        


Die Einzelcoachings mit Stuart Franklin, ...                                   




                                               ... waren für alle lehrreich, deshalb ...

... schauten wir ihm gerne über die Schulter                                          









Einzelcoaching




Ich hatte mich für den Kurs bei Stuart Franklin beworben, da er nicht, wie Richard Kalvar, in der Streetfotografie zu Hause ist, sondern im Fotojournalismus, der Dokumentation und eben im fotografischen Storytelling. Seine Arbeit über die Hungersnot in der Sahelzone (1984/85) brachte ihm große Anerkennung. Richtig bekannt wurde er später durch sein berühmtes Foto des Mannes, der sich 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking den Panzern entgegenstellte, der Tank Man – wofür er seinen ersten World Press Photo Award verliehen bekam. Seit 1990 ist er Mitglied der Fotoagentur Magnum Photos, in den Jahren von 2006 bis 2009 war er ihr Präsident. Für National Geographic hat er mehr als zwanzig Reportagen fotografiert. Constantine Manos, ebenfalls ein MagnumFotograf, sagte einmal über ihn: "Eines zeichnet sein gesamtes Schaffen aus: ein disziplinierter, formaler Sinn für Qualität." Nach den Erfahrungen des Workshops in Goa kann ich dies wirklich bestätigen.





                                  Beispielfoto 1: MAC, Niterói: „negative space“


                 Beispielfoto 2: D3S, 24-70mm (24 mm), f 2,8, ISO 4000, 1/125s
Von den Teilnehmern des Workshops wurde erwartet, dass sie sich im Team voll engagieren, ihre eigene Arbeit präsentieren und erläutern und sich längerfristige Ziele für ihre eigene fotografische Praxis setzen. Die Inhalte des Workshops wurden dabei mit Hilfe von unterschiedlichen Formaten vermittelt:

•    Selbstgesteuertes Fotografieren
•    Einzelcoachings
•    Vorlesung des Workshopleiters
•    Sequenzialisierung der Fotos
      (d.h., die Reihenfolge für die Fotostory festlegen)

•    Bildbearbeitung

Jeder Teilnehmer stellte zu Beginn zwanzig Fotos aus seinem Portfolio vor und Stuart Franklin entdeckte bei jedem sehr treffsicher bereits nach ein paar Bildern die Schwächen. Freundlicherweise wies er darauf hin, dass es immer schwieriger würde und auf jedes noch so kleine Detail ankäme, je höher die Messlatte liege. O-Ton: "It’s all about small details and millimetres".

Hier zur besseren Verdeutlichung zwei Beispiele aus dem Workshop. Am ersten Beispielfoto, das das Museu de Arte Contemporânea de Niterói (MAC) in Brasilien zeigt, kritisierte er meinen Umgang mit dem sogenannten "Negativen Raum" (negative space). Hier hätte ich in der Mitte das Gebäude besser freistellen, die Schnittstellen mit den kleinen Inseln vermeiden müssen, und der Insel am linken Bildrand etwas mehr Platz lassen sollen.

Das zweite Beispielfoto zeigt die buddhistische Chaitya-Höhle in Ellora in Indien. Hätte Stuart Franklin das für National Geographic fotografiert, hätte er erstens mit Stativ gearbeitet, um auch die Ränder scharf zu bekommen, zweitens mit ungefähr fünf externen Lichtquellen die unteren Säulen ausgeleuchtet, und drittens ein Tilt-und-Shift-Objektiv verwendet, um die stürzenden Linien zu vermeiden.






Beispielfoto 3: "This is OK."








Beispiel meiner Fotostrecke: Künstler Subodh Kerkar vor einem Gemälde seines Vaters


                 Beispiel 2 meiner Fotostrecke: Subodh Kerkar (2. v.r.) mit Freunden
Interessant war, dass er während der gesamten Dauer des Workshops nicht ein einziges Mal die Begriffe Blende, Belichtungszeit oder Brennweite benutzte – es war immer alles implizit! Am zweiten Tag sichteten wir gemeinsam die Bilder der einzelnen Projektarbeiten des Vortages, wobei er jeden in seiner eingeschlagenen Richtung korrigierte, den einen mehr, den anderen weniger, und wertvolle Tipps gab für die weitere Vorgehensweise im Projekt.

In der nächsten Sitzung drehte sich alles um den Begriff "Klarheit der Absicht" (clarity of intent). Die meisten der Gruppe kreisten bei der Motivsuche noch etwas zu weitläufig um das zentrale Thema ihres Projekts, und er riet uns, wir sollten uns stärker fokussieren, wie z.B. auf nur einen Aspekt des Themas konzentrieren (z.B. auf nur einen Künstler), die Einheit eines Ortes einhalten (nur einen Straßenzug) oder sich bei der fotografischen Herangehensweise beschränken (nur ein Leitmotiv, wie z.B. nur aus einem fahrenden Bus fotografieren).

Dies half nicht nur den Teilnehmern, sich innerhalb des Projektes besser, klarer zu orientieren, sondern man sah es später auch den Fotostrecken an. Diese wirkten am Ende durchweg eindeutig und konzentriert in der Bildsprache und waren in ihrer Zusammenstellung sehr konsistent. Dies wiederholte sich am dritten Tag, wobei die Hinweise für jeden Einzelnen detaillierter wurden.

Am vierten Tag fand vormittags eine erste Auswahl von zwanzig Fotos statt, die das Potential hatten, in die Story eingebaut zu werden. Nachmittags gab es dann die letzte Möglichkeit, eventuelle Schwächen und Lücken in der Fotostory zu füllen. Am Samstag wurde dann gemeinsam die endgültige Auswahl von zehn Fotos bei jedem vorgenommen, und, sehr wichtig dabei, ihre Reihenfolge festgelegt!








Beispiel 3 meiner Fotostrecke: Subodh Kerkar, zu Hause







                    Magnum-Fotografen unter sich: Raghu Rai über Richard Kalvar

                      The "Big Three": Richard Kalvar, Raghu Rai, Stuart Franklin
Das Abschluss-Event wurde von dem großarteigen indischen Fotografen Raghu Rai mit den Grußworten für Richard Kalvar eingeleitet, der zunächst sein Lebenswerk vor internationalem Publikum präsentierte. Am Ende wurden dann die Fotostories sämtlicher Workshopteilnehmer in einer großen Slideshow gezeigt. Vierundzwanzig Fotostories à zehn Fotos an einem Stück waren dabei aber etwas zu viel des Guten. Hier sollten sich die Veranstalter für die nächsten Workshops ein anderes Präsentationsformat überlegen.

Alles in allem war es eine sehr gelungene Fortbildung, gekonnt eingebettet in ein professionell aufgezogenes Foto-Event. Und es war ebenso ein erhebendes Gefühl, diese drei Größen der Fotografie live zu erleben und ein Teil dieser recht einmaligen Veranstaltung zu sein. Ich bin mir sicher, dass dies nicht der letzte Magnum PhotoWorkshop während des GoaPhotoFestivals war.


Jochen Weber
(Mumbai, 3/2015)






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* Reisefotografie erleben
Menschen – Szenen – Geschichten
ISBN: 9783864902505
dpunkt.verlag, Heidelberg











Gut bewacht und konzentriert bereitet Richard Kalvar seine Präsentation vor 








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